/highlow journal/ 03 11 2000


Die Parade

Zur Arbeit 'Männerchor' von Barbara Baur und Eva Ursprung



" Einen Buben zu erziehen, heisst, einen Mann daraus zu machen, aber ein Mädchen zu erziehen heisst, ein Volk zu machen."

LH Waltraud Klasnic

Und wieder. Wie sie marschieren. Im Gleichklang, die Beine, der Blick einer Seite zugewendet. Dorthin, wo die sitzen, die jenen, die marschieren, Beifall spenden. Die die Beinarbeit, das stundenlange Warten, das Anlegen der speckigen Lederhose, das Tragen der Festtags-Banner, das Ausführen der Fahnen mit freundlichem Kopfnicken quittieren. Die routinemässig ins milde Lächeln verfallen, insbesondere wenn der selbstgebrannte Zwetschkenlikör überreicht wird. Aber nicht nur. Auch, wenn sie den einen oder anderen wiedererkennen. Vom Sektstand der Party am See, vom Schulterklopfen nach dem vergangenen Wahlerfolg oder von der Sprechstunde im eigenen Büro. Ob man etwas tun könnte, für Ingrid? Die HAK-Absolventin beherrscht auch 'Photoshop'. Eine verlässliche Schreibkraft. Im Land. Man wird sehen.

Die Marschierer buhlen um das Erhaschen von Blicken und Grüssen jener, die auf der Festtagstribüne Platz genommen haben. Suchen den Augenkontakt. Und jene, die die Parade abnehmen, sind versucht, ihre Blicke schweifen zu lassen. Nur ja keinen auslassen. Nur ja keinem das Gefühl geben, er werde hier nicht beachtet. Wo sie doch ihr Festtagsgewand angezogen haben. Das Paradegewand. Zugleich auch Begräbnisgewand. Fallweise auch Weihnachtsgewand. Die Uniformen aus gewalktem Loden, die Hosen mit den eingestickten Initialen, das Schuhwerk mit den silbernen Schnallen, und die mindestens zwei Mal mit dem Dampfbügeleisen glattgestrichenen Hemden. 'Gloriette'-Hemden. Die Streifen. Die sind besonders gut geeignet. Für Paraden.

'Da Grossvata saht und das Enkale maht'. Gehört zum Repertoire. Ist quasi Standard-Programm. Kann vorgetragen werden, ohne zu üben. Heute wird es nicht gesungen. Nicht während der Parade. Es wird marschiert und gelacht. Und gegrüsst. Und schultergeklopft. Händegeschüttelt. Und getrunken. Gesungen wird später vielleicht, im Gasthof, nach Kasnudeln und vier, fünf kleinen Bieren. Wenn auf dem Fernseher im Gasthof die Zusammenfassung der Parade zu sehen sein wird. Wenn von den Tausenden die Rede sein wird, den Tausenden auf der Strasse. Tausende im Publikum. Tausende im Festzug. Ein Erfolg. Eine Demonstration. Ein Zeichen. An all die anderen. Die Gegner.

Gesungen wird erst, wenn sich rund um die Nähte des Gloriette-Hemdes Schweissflecken gebildet haben. Wenn die älteren wieder aus der Vergangenheit erzählen. Vom Kampf. Von der Ehre. Und vor der Treue. Und die Jungen zuhören. Wenn sie sich einig sind, die stämmigen, gedrungenen, gelängten, drahtigen, sportlichen oder attratktiven Körper mit den Gesichtern, die rund, eingefallen, vernarbt, bleich, aufgedunsen, fettig sein können oder Spuren geplatzter Adern auf Wangen und Nasen aufweisen. Kahle Köpfe oder solche, bei denen die Frisur die Kahlheit kaschieren soll, Blondgelocktes unter der Verbindungskappe, keine Kotelletten, Kurzhaarschnitte, wenig Mittelscheitel, silbrig ergrautes Haar, mit dem Blechkamm in Bahnen gelegt. Und Bärte.

Das Volk marschiert und die Volksvertreter schauen zu. Geben vor, für das Inszenierte Interesse zu zeigen. Sich zu freuen. Geben vor, eins zu sein mit der Masse der marschierenden Verbände und Institutionen, Berufsgruppen und Bezirksorganisationen, Abordnungen und Sektionen, Vereine und Gruppierungen. Auch Frauen. In Landestracht geleidet, mit Häubchen auf dem Kopf oder mit Filzband, um den Hals geschnürt. Geben denen, die auf der Stahlrohrtribüne Platzgenommen haben, ein Ständchen. Erheben die Stimme, blasen Luft in Hörner. Blicken andachtsvoll. Unterwürfig. Lassen sich dafür bedanken und auf die Wange küssen. Sind Teil des Systems. Die Frauen.

Morgen schon gibt es bewegte Bilder zu kaufen. Die Schönsten, Die Eindrucksvollsten. Die mit der Message des Bodenständigen. Des Anständigen. Natürlichen. Keine Vernaderer. Nestbeschmutzer. Nur solche, die sich einig sind. über das, was passiert ist. Was gerade passiert. Die keine Fragen stellen, sondern zuhören. Empfangen, nicht agieren. Reagieren schon gar nicht. Die jetzt Oberwasser haben. Und es sich auch nicht mehr abgraben lassen wollen. Bilder, zusammengeschnitten, aber mit dem Original-Kommentar versehen. Auf Video. Im ORF-Shop. Nicht wenige, jener, die marschiert sind, werden die Bänder kaufen. Zur Erinnerung. Vielleicht ist man auch selbst im Bild. Erinnerung für sich selbst und für die Büglerin des steifen Hemdes. Und für die Kinder. 'Da Grossvata sat und das Enkale maht.'

Martin Behr <midihy@mur.at>


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