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Einen Buben zu erziehen, heisst, einen Mann daraus zu machen, aber ein Mädchen
zu erziehen heisst, ein Volk zu machen."
LH Waltraud Klasnic
Und wieder. Wie sie marschieren. Im Gleichklang, die Beine, der Blick einer Seite
zugewendet. Dorthin, wo die sitzen, die jenen, die marschieren, Beifall spenden.
Die die Beinarbeit, das stundenlange Warten, das Anlegen der speckigen Lederhose,
das Tragen der Festtags-Banner, das Ausführen der Fahnen mit freundlichem Kopfnicken
quittieren. Die routinemässig ins milde Lächeln verfallen, insbesondere
wenn
der
selbstgebrannte Zwetschkenlikör überreicht wird. Aber nicht nur. Auch, wenn
sie den einen oder anderen wiedererkennen. Vom Sektstand der Party am See, vom
Schulterklopfen
nach dem vergangenen Wahlerfolg oder von der Sprechstunde im eigenen Büro. Ob
man etwas tun könnte, für Ingrid? Die HAK-Absolventin beherrscht auch 'Photoshop'.
Eine verlässliche Schreibkraft. Im Land. Man wird sehen.
Die Marschierer buhlen um das Erhaschen von Blicken und Grüssen jener, die auf
der
Festtagstribüne Platz genommen haben. Suchen den Augenkontakt. Und jene, die
die Parade abnehmen, sind versucht, ihre Blicke schweifen zu lassen. Nur ja keinen
auslassen. Nur ja keinem das Gefühl geben, er werde hier nicht beachtet. Wo sie
doch ihr Festtagsgewand angezogen haben. Das Paradegewand. Zugleich auch Begräbnisgewand.
Fallweise auch Weihnachtsgewand. Die Uniformen aus gewalktem Loden, die Hosen
mit den eingestickten Initialen, das Schuhwerk mit den silbernen Schnallen, und
die mindestens zwei Mal mit dem Dampfbügeleisen glattgestrichenen Hemden. 'Gloriette'-Hemden.
Die Streifen. Die sind besonders gut geeignet. Für Paraden.
'Da Grossvata saht und das Enkale maht'. Gehört zum Repertoire. Ist quasi Standard-Programm.
Kann vorgetragen werden, ohne zu üben. Heute wird es nicht gesungen. Nicht während
der Parade. Es wird marschiert und gelacht. Und gegrüsst. Und schultergeklopft.
Händegeschüttelt. Und getrunken. Gesungen wird später vielleicht, im
Gasthof,
nach Kasnudeln und vier, fünf kleinen Bieren. Wenn auf dem Fernseher im Gasthof
die Zusammenfassung der Parade zu sehen sein wird. Wenn von den Tausenden die
Rede sein wird, den Tausenden auf der Strasse. Tausende im Publikum. Tausende
im Festzug. Ein Erfolg. Eine Demonstration. Ein Zeichen. An all die anderen.
Die Gegner.
Gesungen wird erst, wenn sich rund um die Nähte des Gloriette-Hemdes Schweissflecken
gebildet haben. Wenn die älteren wieder aus der Vergangenheit erzählen.
Vom Kampf.
Von der Ehre. Und vor der Treue. Und die Jungen zuhören. Wenn sie sich einig
sind, die stämmigen, gedrungenen, gelängten, drahtigen, sportlichen oder
attratktiven
Körper mit den Gesichtern, die rund, eingefallen, vernarbt, bleich, aufgedunsen,
fettig sein können oder Spuren geplatzter Adern auf Wangen und Nasen aufweisen.
Kahle Köpfe oder solche, bei denen die Frisur die Kahlheit kaschieren soll, Blondgelocktes
unter der Verbindungskappe, keine Kotelletten, Kurzhaarschnitte, wenig Mittelscheitel,
silbrig ergrautes Haar, mit dem Blechkamm in Bahnen gelegt. Und Bärte.
Das Volk marschiert und die Volksvertreter schauen zu. Geben vor, für das Inszenierte
Interesse zu zeigen. Sich zu freuen. Geben vor, eins zu sein mit der Masse der
marschierenden Verbände und Institutionen, Berufsgruppen und Bezirksorganisationen,
Abordnungen und Sektionen, Vereine und Gruppierungen. Auch Frauen. In Landestracht
geleidet, mit Häubchen auf dem Kopf oder mit Filzband, um den Hals geschnürt.
Geben denen, die auf der Stahlrohrtribüne Platzgenommen haben, ein Ständchen.
Erheben die Stimme, blasen Luft in Hörner. Blicken andachtsvoll. Unterwürfig.
Lassen sich dafür bedanken und auf die Wange küssen. Sind Teil des Systems.
Die
Frauen.
Morgen schon gibt es bewegte Bilder zu kaufen. Die Schönsten, Die Eindrucksvollsten.
Die mit der Message des Bodenständigen. Des Anständigen. Natürlichen.
Keine Vernaderer. Nestbeschmutzer. Nur solche, die sich einig sind. über das,
was passiert
ist.
Was gerade passiert. Die keine Fragen stellen, sondern zuhören. Empfangen, nicht
agieren. Reagieren schon gar nicht. Die jetzt Oberwasser haben. Und es sich auch
nicht mehr abgraben lassen wollen. Bilder, zusammengeschnitten, aber mit dem
Original-Kommentar versehen. Auf Video. Im ORF-Shop. Nicht wenige, jener, die
marschiert sind, werden die Bänder kaufen. Zur Erinnerung. Vielleicht ist man
auch selbst im Bild. Erinnerung für sich selbst und für die Büglerin
des
steifen
Hemdes. Und für die Kinder. 'Da Grossvata sat und das Enkale maht.'
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